Auf den Bergen ist Freiheit

Jutta Kleinknecht

„Auf den Bergen ist Freiheit!“ Die berühmte Passage aus Schillers „Braut von Messina“ endet mit dem Satz „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.“

Doch gerade die menschliche Figur ruft beim Betrachten der weiten Schneelandschaften Ulrike Heydenreichs das Gefühl von Freiheit, Ruhe und Erhabenheit in uns wach. Die Künstlerin bedient sich der Staffagefigur als Stellvertreter für uns selbst, um Distanz abzubauen. Fast fühlt man sich der Gruppe von Langläufern im Bild zugehörig, meint die Gebirgslandschaft selbst betreten zu können. Die endlose Weite bleibt im Gegensatz zu den Rückenfiguren eines Caspar David Friedrich dem Menschen in Heydenreichs Kompositionen nicht verschlossen. Sie bräuchten auf ihren Skiern nur weiter zu gleiten, um in die Tiefe der Landschaft einzutauchen.

Personenstaffage findet sich im Werk Heydenreichs ausschließlich in den Panoramacollagen. Ihre Zeichnungen schneebedeckter Gebirgslandschaften sparen dieses erzählerische Moment aus. Gleichwohl entstanden die ersten Collagen vor drei Jahren unter dem Titel „Panoramastudien“ als Vorstufe innerhalb der Entwicklung der Zeichnungen.

Heydenreich verwendet das Mittel der Collage, um Tiefe darzustellen. Die Künstlerin arbeitet mit drei übereinander liegenden Bildschichten. Das Collagemotiv wird auf den ersten Blick dabei nicht sichtbar. Als Bildmaterial verwendet sie Schwarzweiß-Fotografien aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Skizzenhaft fotokopiert, zerschnitten in Vorder-, Mittel- und Hintergrund und auf separate Transparentpapiere im Format 56 x 88 cm geklebt, bildet sich eine nach hinten abnehmende Durchsichtigkeit. Diese korrespondiert mit der Fernsicht und der zunehmenden Feuchtigkeit der Luft in den Bergen. Durch die Tiefenstaffelung wird das Bild zu einem räumlichen Objekt, vergleichbar einem Bühnenbild, das in mehreren Schichten aufgebaut werden kann.

Idealisierten Landschaftsdarstellungen des Klassizismus vergleichbar, handelt es sich um inszenierte Bildwelten. Aus bis zu 15 verschiedenen Bildvorlagen werden einzelne Bestandteile entnommen und montageartig zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt.
Während in den Zeichnungen die fiktiven Bergformationen fließend ineinander überzugehen scheinen, spielt die Collage mit störenden Effekten wie Brüchen oder irritierenden Größenverhältnissen, die unter dem Transparentpapier wieder verschmelzen.

Der besondere Reiz von Heydenreichs Collagen liegt im Verborgenen. Dies aufzuspüren, ist, was uns an ihren Bildern so fesselt. So wie die Künstlerin den Wahrnehmungsprozess erforscht, wird der Betrachter eingeladen, sein eigenes Sehen zu erfahren.